Alles hat ein Ende – auch Rave

Rainald Goetz Bild: Press/Privat

Rave, von dem deutschen Schriftsteller Rainald Goetz, erzählt die Geschichte des Wandels der deutschen Technoszene von der Subkultur zum Kommerz. Der Text begleitet den Erzähler Rainald und seine Freunde durch ihre Nächte, Tage, Drogen und ihre Reise in den Verfall.

Das erste Mal, dass ich in Rave gestöbert habe, war vielleicht in der Motto-Buchhandlung in Berlin, so um 2008 herum. Ich wollte mir das Zine „Neue Probleme“ kaufen, das aus ein paar zusammengehefteten A4-Seiten grauen Druckerpapiers bestand. Ich war gerade im Austausch in Japan gewesen und hatte darin einen Text über meine Solo-Clubbing-Touren in Tokio geschrieben, wo ich in Clubs wie Womb, Space Lab Yellow und Unit durchtanzte. In den paar Monaten, die ich dort war, fühlte ich mich so zuhause wie nirgendwo sonst.

Rave konnte mich damals nicht fesseln. Es kam mir vor wie eine langweilige Aneinanderreihung deutscher Medienstars und jungenhaften Drogenromanzen. Dafür hatte ich keine Zeit. Ich war noch mitten in meiner eigenen Entdeckungsreise. Also zog ich weiter. Ging in einen Club. Die Stempel am Handgelenk trockneten kaum, bevor es schon wieder Zeit zum Ausgehen war. Ich vermisse dieses Leben manchmal so sehr, dass es wehtut, aber wenn ich versuche, es zu beschreiben, scheitere ich immer. Meine Sprache reicht nicht aus. Es gibt auch sonst kaum jemanden, der es geschafft hat, so darüber zu schreiben, wie ich es selbst wiedererkannt habe. Dann betrat Rave wieder die Arena.

Rave erschien 1998 auf Deutsch, aber erst kürzlich auf Schwedisch. Das Buch ist optisch kaum zu übersehen, mit seinem erbsengrünen Cover, das zynisch auf den Megahit des letzten Sommers, „Brat“ von Charlie XCX, anspielt. Als ich das Buch zum ersten Mal sah, dachte ich, es sei ein brandneuer Roman. Hier ist es! schreit das Buchcover. Lies mich! Dies ist ein Buch für unsere Zeit. Aber ist es das wirklich?

Rave ist Teil von Rainald Goetz’ Zyklus zur Gegenwart, der unter anderem das Theaterstück „Jeff Koonz” und den Blog „Abfall für alle” umfasst. Mit „Gegenwart” ist hier das Deutschland der späten 90er Jahre gemeint, geprägt vom ungebremsten Optimismus der Wiedervereinigung, der Entstehung der Technoszene, dem Einfluss des Internets und einer statushungrigen Medienwelt, in der Feuilletonisten und Fernsehmoderatoren diktierten, was in ist.

Jedenfalls glaube ich, dass es so war. Ich war die meiste Zeit der 90er ein Kind und meine Erinnerungen sind extrem unzuverlässig. Meine Therapeuten führen es darauf zurück, dass das Jahrzehnt mit einer Reihe von Kindheitstraumata begann, zum Beispiel damit, dass meine beste Freundin über Nacht von Schweden nach Deutschland ziehen musste. Als ich sie ein paar Jahre später in Köln besuchte, wollte sie in Plattenläden gehen und redete über Techno. Ich verstand überhaupt nichts. Es sollte noch viele Jahre dauern, bis ich im Kontext des Nachtlebens meine Heimat fand.

Rainald Goetz hingegen verbrachte die 90er Jahre damit, zu schreiben und sich als Kultautor zu positionieren. Als er seinen ersten Roman „Irre” Anfang der 80er Jahre veröffentlichte, machte er auf sich aufmerksam, als er sich während einer live im Fernsehen übertragenen Lesung mit einer Rasierklinge über die Stirn fuhr. Eine Art von Kunstskandal, der eine Karriere in Gang bringen kann. Außerhalb Deutschlands ist er jedoch nahezu unbekannt. Irre und Rave wurden erst ins Englische übersetzt, als Goetz 2015 den Georg-Büchner-Preis erhielt, eine der höchsten Auszeichnungen für deutschsprachige Literatur.


Love Parade Berlin 2002. Bild: Perspektive89 (Wikimedia Commons)

Meine Vorstellung, in der Originalsprache zu lesen, wird dadurch zunichte gemacht, dass Rave in Stockholm nicht auf Deutsch erhältlich ist und das Exemplar, das ich nach Hause bestelle, irgendwo in Europa festhängt. Während ich warte, beginne ich stattdessen, die schwedische und die englische Ausgabe zu vergleichen. Beide weisen Direkt- und Fehlübersetzungen auf, und beim Lesen versuche ich, mich den mir noch nicht zugänglichen deutschen Originaltext vorzustellen und mir die Stimmen und den Tonfall der Figuren vorzustellen. Nach einer Weile gerate ich in einen leicht trippigen Zustand. Vielleicht trägt das dazu bei, dass jetzt ein völlig anderer Text entsteht als bei meiner ersten Lektüre.

In Rave einzusteigen ist, als würde man auf eine Party gehen, wenn es schon zu spät ist. Man hat alles schon verpasst. Oder besser gesagt: Die Party dauert schon so lange, dass es sich nicht lohnt, auf denselben Stand zu kommen. Überall wird über nichts geredet. Es ist Zeit, sich mit Pulver, Tabletten oder vielleicht auch nur einem kleinen Bier einzudecken. Eigentlich ist es Zeit, nach Hause zu gehen. Aber niemand will nach Hause. Die Party darf nicht enden.

Goetz scheint verstanden zu haben, dass er sofort über die Gegenwart schreiben muss, bevor er vergisst, wie es wirklich war. Die Sprache ist bruchstückhaft, abgehackt, überspringt Ereignisse. Szenen werden auseinandergeschnitten, zeitlich gedehnt. In einer Szene verlässt der Erzähler Rainald einen Club und übergibt sich. Er legt sich hin und ruht sich aus, und nach einigen Clubbesuchen und einem Trip nach Ibiza wacht er wieder auf und feiert weiter.

Was Rave auszeichnet, ist die enorme Dringlichkeit, mit der das Feiern beschrieben wird. Die Gespräche im Buch haben genau diese leichte Schrägheit und den Vorwärtsdrang bewahrt, die nur in Gesprächen zu finden sind, in denen es eigentlich um nichts geht. In Gesprächen, die einfach immer weitergehen und aneinander vorbeiziehen, aber dennoch so wichtig sind.

„Mit manchen winkt und lacht man sich gegenseitig zu, mit manchen sagt man sich nur so hallo und mit vielen redet man kurz. Geil. Der ultraöffentliche Ort der Nacht und sein Privatgeschichtenkatarakt.”(a. 70)

Woran ich mich aus meiner Zeit in der Raveszene erinnere – oder besser gesagt nicht erinnere –, sind genau die Gespräche. Ich weiß nicht mehr, worüber wir sprachen, aber ich erinnere mich, dass wir viel redeten. Ich erinnere mich an den Nebel über einer Sommerwiese, an ein Treffen auf einer Treppe, eine Geheimtür, das Morgenlicht hinter verdunkelten Fenstern, daran, in einem Tunnel eine Hand zu halten. Im Hintergrund ein dröhnender Bass, unterbrochen von einer melodischen Schleife, die einen zurück auf die Tanzfläche lockt.

Ich erinnere mich an das Gefühl, dazuzugehören. An den Freundeskreis, mit denen die Nacht begann und endete, die Möglichkeit, auszugehen und sich an vielen Orten wie zu Hause und willkommen zu fühlen. Vielleicht hat die Rave-Szene etwas von der Leere geheilt, die meine beste Freundin hinterlassen hat, als sie verschwand.
Im Rückblick ist es darum schwierig, das Nachtleben zu beschreiben, ohne in nostalgischem Schimmer zu enden oder, dass es sich in einen prahlerischen Text darüber verwandelt, wen man getroffen, wo man war, was man alles getan und gesehen hat. Letzteres kann man Goetz sicherlich vorwerfen. Er beschreibt nicht, wo sich Clubs wie Tresor, P 1, Pulverturm und Babalu befinden, sondern streut ohne Kontext oder Einleitung Namen von Prominenten, Plattenfirmen und Freunden ein. Viele Referenzen sagen denjenigen, die nicht dabei waren, nichts, und gleichzeitig ist genau das auch die Zurückbehaltung.


Rainald Goetz. Bild: Wikimedia Commons

Wenn Rainald erwähnt, dass er Luhmanns „Kunst der Gesellschaft“ auf seinen Streifzügen zwischen verschiedenen Plattenläden liest, meint er 500 Seiten Systemtheorie. Beim Gedanken an eine Proust-Verbesserungsstudie doziert er über Deleuzes und Guattaris Milles Plateaus: Könnte es nicht mit einem solide gestützten Plateau statt tausend reichen? Es sind diese Kommentare, die den Text manchmal unvergleichlich machen. Dann entfaltet sich die Erzählung als autoethnografische Untersuchung des Ravelebens und auch des Schreibens, samt Forschungsfragen:

„Was für eine Societät ist denn ein bestimmter Text? Welche Haltungen, Emotionen, Sprechweisen, Theoriemodelle, Wortsoziäteten und Worte bilden denn das abstrakt Soziale, die Geistesgesellschaft eines bestimmten Textes? Und welche Regeln gelten da?” (s. 209)

Dann werden lästige Wiederholungen, wie verschiedene Zeitschriften, Medienpersönlichkeiten und Plattenfirmen sich zueinander verhalten, zu mehr als bloßem Namedropping. Es ist, als wolle Goetz einen mit seiner Sturheit und einer fast naiven Weltbewunderung, die nur entstehen kann, wenn man sich ganz auf ein Ereignis einlässt, den Leser zermürben: Schau mal, das ist wichtig! Das Leben besteht aus Begegnungen mit Menschen, denen man begegnet, die man verliert, die man wiederfindet.

Aber alles hat seinen Preis, auch in Rave. Am Ende des Buches ist das Feiern so alltäglich wie notwendig geworden. Rainald ist verärgert, dass plötzlich jeder, selbst die Feuilletonisten der großen Tageszeitungen, eine Meinung zu Techno, Drogen und Rave-Kultur hat. Die Loveparade ist zu einem populären Spektakel geworden, die DJ-Gagen sind verwässert worden, und die Polizei hat begonnen, den Drogenhandel in den Clubs immer stärker unter Kontrolle zu bringen. Das Schlimmste: Red Bull hat eine DJ-Akademie gegründet.

Erst gegen Ende berührt der Text Melancholie und Nostalgie, vielleicht eher eine Traurigkeit über das Altern, über den Lauf der Zeit. Einer aus der Clique ist zum 24-Stunden-Nachtleben-Unternehmer geworden. Eine Affäre droht Freundschaften zu zerstören. Alkohol und Drogen haben überhand genommen. Rainalds Frau findet ihn abstoßend. Es ist alles schon lange VORBEI, kapiert ihr das nicht? scheint der Text, wenn das Ende naht, zu schreien. Es ist irgendwie berührend.
Meine Freunde und ich verließen das Nachtleben, als Lachgas in Stockholm als Partydroge aufkam. Wir verstanden den Sinn der kurzen Kicks nicht wirklich. Es war wie ein Zeichen für uns, dass etwas Neues beginnen würde. Und dann kamen die Pandemie und die Kinder.

Viele der Gebäude, in denen wir gefeiert haben, waren ebenfalls provisorisch und wurden nach und nach dem Erdboden gleichgemacht. Heute sind sie Kieshaufen, Eigentumswohnungen oder Lokale für ein ordentliches Publikum. Letztes Jahr wurde die Berliner Technoszene in die UNESCO-Liste des immateriellen Kulturerbes aufgenommen. Ich weiß nicht, was Rainald davon gehalten hätte, oder davon, dass Nachtclubbetreiber in Berlin jetzt auf staatliche Hilfen angewiesen sind, um zu überleben.

Als mein deutsches Rave-Exemplar endlich im Briefkasten landet, ist es in Form einer kleinen, orangefarbenen Taschenbuchausgabe. In die Originalfassung einzutauchen, ist wie Schwimmen in lauwarmem Wasser. Angenehm. Vorne ein Aufkleber mit dem Text „Georg-Büchner-Preis 2015 yeah!“. Hinten steht nur „Komm her, Sternschnuppe“. Ich weiß nicht warum, aber dieser Satz bringt mich fast zum Weinen.

Hannah Altmann • 2025-06-18
Hannah Altmann är skribent och kulturarbetare och bor i Stockholm.


Alles hat ein Ende – auch Rave

Rainald Goetz Bild: Press/Privat

Rave, von dem deutschen Schriftsteller Rainald Goetz, erzählt die Geschichte des Wandels der deutschen Technoszene von der Subkultur zum Kommerz. Der Text begleitet den Erzähler Rainald und seine Freunde durch ihre Nächte, Tage, Drogen und ihre Reise in den Verfall.

Das erste Mal, dass ich in Rave gestöbert habe, war vielleicht in der Motto-Buchhandlung in Berlin, so um 2008 herum. Ich wollte mir das Zine „Neue Probleme“ kaufen, das aus ein paar zusammengehefteten A4-Seiten grauen Druckerpapiers bestand. Ich war gerade im Austausch in Japan gewesen und hatte darin einen Text über meine Solo-Clubbing-Touren in Tokio geschrieben, wo ich in Clubs wie Womb, Space Lab Yellow und Unit durchtanzte. In den paar Monaten, die ich dort war, fühlte ich mich so zuhause wie nirgendwo sonst.

Rave konnte mich damals nicht fesseln. Es kam mir vor wie eine langweilige Aneinanderreihung deutscher Medienstars und jungenhaften Drogenromanzen. Dafür hatte ich keine Zeit. Ich war noch mitten in meiner eigenen Entdeckungsreise. Also zog ich weiter. Ging in einen Club. Die Stempel am Handgelenk trockneten kaum, bevor es schon wieder Zeit zum Ausgehen war. Ich vermisse dieses Leben manchmal so sehr, dass es wehtut, aber wenn ich versuche, es zu beschreiben, scheitere ich immer. Meine Sprache reicht nicht aus. Es gibt auch sonst kaum jemanden, der es geschafft hat, so darüber zu schreiben, wie ich es selbst wiedererkannt habe. Dann betrat Rave wieder die Arena.

Rave erschien 1998 auf Deutsch, aber erst kürzlich auf Schwedisch. Das Buch ist optisch kaum zu übersehen, mit seinem erbsengrünen Cover, das zynisch auf den Megahit des letzten Sommers, „Brat“ von Charlie XCX, anspielt. Als ich das Buch zum ersten Mal sah, dachte ich, es sei ein brandneuer Roman. Hier ist es! schreit das Buchcover. Lies mich! Dies ist ein Buch für unsere Zeit. Aber ist es das wirklich?

Rave ist Teil von Rainald Goetz’ Zyklus zur Gegenwart, der unter anderem das Theaterstück „Jeff Koonz” und den Blog „Abfall für alle” umfasst. Mit „Gegenwart” ist hier das Deutschland der späten 90er Jahre gemeint, geprägt vom ungebremsten Optimismus der Wiedervereinigung, der Entstehung der Technoszene, dem Einfluss des Internets und einer statushungrigen Medienwelt, in der Feuilletonisten und Fernsehmoderatoren diktierten, was in ist.

Jedenfalls glaube ich, dass es so war. Ich war die meiste Zeit der 90er ein Kind und meine Erinnerungen sind extrem unzuverlässig. Meine Therapeuten führen es darauf zurück, dass das Jahrzehnt mit einer Reihe von Kindheitstraumata begann, zum Beispiel damit, dass meine beste Freundin über Nacht von Schweden nach Deutschland ziehen musste. Als ich sie ein paar Jahre später in Köln besuchte, wollte sie in Plattenläden gehen und redete über Techno. Ich verstand überhaupt nichts. Es sollte noch viele Jahre dauern, bis ich im Kontext des Nachtlebens meine Heimat fand.

Rainald Goetz hingegen verbrachte die 90er Jahre damit, zu schreiben und sich als Kultautor zu positionieren. Als er seinen ersten Roman „Irre” Anfang der 80er Jahre veröffentlichte, machte er auf sich aufmerksam, als er sich während einer live im Fernsehen übertragenen Lesung mit einer Rasierklinge über die Stirn fuhr. Eine Art von Kunstskandal, der eine Karriere in Gang bringen kann. Außerhalb Deutschlands ist er jedoch nahezu unbekannt. Irre und Rave wurden erst ins Englische übersetzt, als Goetz 2015 den Georg-Büchner-Preis erhielt, eine der höchsten Auszeichnungen für deutschsprachige Literatur.


Love Parade Berlin 2002. Bild: Perspektive89 (Wikimedia Commons)

Meine Vorstellung, in der Originalsprache zu lesen, wird dadurch zunichte gemacht, dass Rave in Stockholm nicht auf Deutsch erhältlich ist und das Exemplar, das ich nach Hause bestelle, irgendwo in Europa festhängt. Während ich warte, beginne ich stattdessen, die schwedische und die englische Ausgabe zu vergleichen. Beide weisen Direkt- und Fehlübersetzungen auf, und beim Lesen versuche ich, mich den mir noch nicht zugänglichen deutschen Originaltext vorzustellen und mir die Stimmen und den Tonfall der Figuren vorzustellen. Nach einer Weile gerate ich in einen leicht trippigen Zustand. Vielleicht trägt das dazu bei, dass jetzt ein völlig anderer Text entsteht als bei meiner ersten Lektüre.

In Rave einzusteigen ist, als würde man auf eine Party gehen, wenn es schon zu spät ist. Man hat alles schon verpasst. Oder besser gesagt: Die Party dauert schon so lange, dass es sich nicht lohnt, auf denselben Stand zu kommen. Überall wird über nichts geredet. Es ist Zeit, sich mit Pulver, Tabletten oder vielleicht auch nur einem kleinen Bier einzudecken. Eigentlich ist es Zeit, nach Hause zu gehen. Aber niemand will nach Hause. Die Party darf nicht enden.

Goetz scheint verstanden zu haben, dass er sofort über die Gegenwart schreiben muss, bevor er vergisst, wie es wirklich war. Die Sprache ist bruchstückhaft, abgehackt, überspringt Ereignisse. Szenen werden auseinandergeschnitten, zeitlich gedehnt. In einer Szene verlässt der Erzähler Rainald einen Club und übergibt sich. Er legt sich hin und ruht sich aus, und nach einigen Clubbesuchen und einem Trip nach Ibiza wacht er wieder auf und feiert weiter.

Was Rave auszeichnet, ist die enorme Dringlichkeit, mit der das Feiern beschrieben wird. Die Gespräche im Buch haben genau diese leichte Schrägheit und den Vorwärtsdrang bewahrt, die nur in Gesprächen zu finden sind, in denen es eigentlich um nichts geht. In Gesprächen, die einfach immer weitergehen und aneinander vorbeiziehen, aber dennoch so wichtig sind.

„Mit manchen winkt und lacht man sich gegenseitig zu, mit manchen sagt man sich nur so hallo und mit vielen redet man kurz. Geil. Der ultraöffentliche Ort der Nacht und sein Privatgeschichtenkatarakt.”(a. 70)

Woran ich mich aus meiner Zeit in der Raveszene erinnere – oder besser gesagt nicht erinnere –, sind genau die Gespräche. Ich weiß nicht mehr, worüber wir sprachen, aber ich erinnere mich, dass wir viel redeten. Ich erinnere mich an den Nebel über einer Sommerwiese, an ein Treffen auf einer Treppe, eine Geheimtür, das Morgenlicht hinter verdunkelten Fenstern, daran, in einem Tunnel eine Hand zu halten. Im Hintergrund ein dröhnender Bass, unterbrochen von einer melodischen Schleife, die einen zurück auf die Tanzfläche lockt.

Ich erinnere mich an das Gefühl, dazuzugehören. An den Freundeskreis, mit denen die Nacht begann und endete, die Möglichkeit, auszugehen und sich an vielen Orten wie zu Hause und willkommen zu fühlen. Vielleicht hat die Rave-Szene etwas von der Leere geheilt, die meine beste Freundin hinterlassen hat, als sie verschwand.
Im Rückblick ist es darum schwierig, das Nachtleben zu beschreiben, ohne in nostalgischem Schimmer zu enden oder, dass es sich in einen prahlerischen Text darüber verwandelt, wen man getroffen, wo man war, was man alles getan und gesehen hat. Letzteres kann man Goetz sicherlich vorwerfen. Er beschreibt nicht, wo sich Clubs wie Tresor, P 1, Pulverturm und Babalu befinden, sondern streut ohne Kontext oder Einleitung Namen von Prominenten, Plattenfirmen und Freunden ein. Viele Referenzen sagen denjenigen, die nicht dabei waren, nichts, und gleichzeitig ist genau das auch die Zurückbehaltung.


Rainald Goetz. Bild: Wikimedia Commons

Wenn Rainald erwähnt, dass er Luhmanns „Kunst der Gesellschaft“ auf seinen Streifzügen zwischen verschiedenen Plattenläden liest, meint er 500 Seiten Systemtheorie. Beim Gedanken an eine Proust-Verbesserungsstudie doziert er über Deleuzes und Guattaris Milles Plateaus: Könnte es nicht mit einem solide gestützten Plateau statt tausend reichen? Es sind diese Kommentare, die den Text manchmal unvergleichlich machen. Dann entfaltet sich die Erzählung als autoethnografische Untersuchung des Ravelebens und auch des Schreibens, samt Forschungsfragen:

„Was für eine Societät ist denn ein bestimmter Text? Welche Haltungen, Emotionen, Sprechweisen, Theoriemodelle, Wortsoziäteten und Worte bilden denn das abstrakt Soziale, die Geistesgesellschaft eines bestimmten Textes? Und welche Regeln gelten da?” (s. 209)

Dann werden lästige Wiederholungen, wie verschiedene Zeitschriften, Medienpersönlichkeiten und Plattenfirmen sich zueinander verhalten, zu mehr als bloßem Namedropping. Es ist, als wolle Goetz einen mit seiner Sturheit und einer fast naiven Weltbewunderung, die nur entstehen kann, wenn man sich ganz auf ein Ereignis einlässt, den Leser zermürben: Schau mal, das ist wichtig! Das Leben besteht aus Begegnungen mit Menschen, denen man begegnet, die man verliert, die man wiederfindet.

Aber alles hat seinen Preis, auch in Rave. Am Ende des Buches ist das Feiern so alltäglich wie notwendig geworden. Rainald ist verärgert, dass plötzlich jeder, selbst die Feuilletonisten der großen Tageszeitungen, eine Meinung zu Techno, Drogen und Rave-Kultur hat. Die Loveparade ist zu einem populären Spektakel geworden, die DJ-Gagen sind verwässert worden, und die Polizei hat begonnen, den Drogenhandel in den Clubs immer stärker unter Kontrolle zu bringen. Das Schlimmste: Red Bull hat eine DJ-Akademie gegründet.

Erst gegen Ende berührt der Text Melancholie und Nostalgie, vielleicht eher eine Traurigkeit über das Altern, über den Lauf der Zeit. Einer aus der Clique ist zum 24-Stunden-Nachtleben-Unternehmer geworden. Eine Affäre droht Freundschaften zu zerstören. Alkohol und Drogen haben überhand genommen. Rainalds Frau findet ihn abstoßend. Es ist alles schon lange VORBEI, kapiert ihr das nicht? scheint der Text, wenn das Ende naht, zu schreien. Es ist irgendwie berührend.
Meine Freunde und ich verließen das Nachtleben, als Lachgas in Stockholm als Partydroge aufkam. Wir verstanden den Sinn der kurzen Kicks nicht wirklich. Es war wie ein Zeichen für uns, dass etwas Neues beginnen würde. Und dann kamen die Pandemie und die Kinder.

Viele der Gebäude, in denen wir gefeiert haben, waren ebenfalls provisorisch und wurden nach und nach dem Erdboden gleichgemacht. Heute sind sie Kieshaufen, Eigentumswohnungen oder Lokale für ein ordentliches Publikum. Letztes Jahr wurde die Berliner Technoszene in die UNESCO-Liste des immateriellen Kulturerbes aufgenommen. Ich weiß nicht, was Rainald davon gehalten hätte, oder davon, dass Nachtclubbetreiber in Berlin jetzt auf staatliche Hilfen angewiesen sind, um zu überleben.

Als mein deutsches Rave-Exemplar endlich im Briefkasten landet, ist es in Form einer kleinen, orangefarbenen Taschenbuchausgabe. In die Originalfassung einzutauchen, ist wie Schwimmen in lauwarmem Wasser. Angenehm. Vorne ein Aufkleber mit dem Text „Georg-Büchner-Preis 2015 yeah!“. Hinten steht nur „Komm her, Sternschnuppe“. Ich weiß nicht warum, aber dieser Satz bringt mich fast zum Weinen.

Hannah Altmann • 2025-06-18
Hannah Altmann är skribent och kulturarbetare och bor i Stockholm.